Paarleben: Vom Verstehen zum Verständnis

Wenn man sich in der Partnerschaft nicht versteht und sich immer wieder in  Auseinandersetzungen verstrickt, fehlt es oft an der Grundlage: ein tiefes Verständnis von und für einander zu entwickeln. 

 Wenn sich zwei Menschen„ gut verstehen“, und  wenn der eine, sich vom anderen verstanden fühlt, dann können sie verständnisvoll miteinander umgehen. Sich zu verstehen, ist nicht nur eine Frage der Chemie und ein Zufalls-Produkt, sondern ein aktiver Akt. Es geht auch darum, etwas begreifen zu wollen, was voraussetzt, dass man sich darauf einlässt und dafür einsetzt. Viel zu oft klappt im Alltag nicht einmal das rein inhaltliche Verstehen, also das aufmerksame Zuhören. Wir hängen noch unseren eigenen Gedanken nach, die Ohren sind auf Stand-by geschaltet und wir sehen, wie sich die Lippen unseres Gegenübers öffnen und schließen. Mehr als Schallwellen erreichen uns nicht. Um uns nicht zu verraten, dass kein Wort bei uns angekommen ist, nicken wir und äußern etwas Zustimmendes. 

Überlegen Sie einmal kritisch, wie oft Ihnen das passiert und Sie es ohne jedes Schuldbewusstsein wegschieben. Wenn es schon bei so kleinen, einfachen Dingen wie alltäglicher Kommunikation und Erreichbarkeit hapert, wie ist es dann um das tiefere Verstehen bestellt? Um das Gespür für die Bedürfnisse und Gefühle? Wir verlieren die Nähe zu einander und wissen nicht mehr genau, was den liebsten Menschen gerade bewegt. 

 Grundlegend für eine im wahrsten Sinn des Wortes „verständnisvolle“ Partnerschaft sind folgende Punkte:

 Ohren auf: Auch bei Dingen, die Sie vielleicht nicht so interessieren, nehmen Sie sich Zeit und hören Sie Ihrem Partner zu. Wenn es Ihnen zu viel wird, sagen Sie ihm das freundlich oder lenken Sie das Gespräch auf die Aspekte, die Sie spannend finden.

Nachfragen: Ein echtes Gespräch beruht auf Gegenseitigkeit, sonst könnte Ihr Partner auch mit einer Wand reden. Fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstehen oder nachvollziehen können. „Wie genau meinst Du das? Was verstehst Du unter ....? Ziel ist es, dass Sie in seine Gedankenwelt eintauchen. Erinnern Sie sich daran, dass es nicht darum geht, ob Sie es für richtig halten, was der andere denkt und sagt, sondern nur darum, es zu verstehen.

In Kontakt bleiben: Reden Sie täglich miteinander – und schaffen Sie sich dafür eine Routine, zum Beispiel beim Morgen-Kaffee oder Sie bleiben beide noch zehn Minuten nach dem Familien-Abendessen am Tisch sitzen; seien Sie auch tagsüber in Kontakt und rufen Sie einfach einmal zwischen zwei Terminen an und hören, wie es so geht – oder nutzen dafür einen kurzen Social Media Chat.

Da sein: Das Gefühl, dass der andere für mich erreichbar ist, stärkt die Sicherheit in der Beziehung. Besprechen Sie mit Ihrem Partner, wie Sie Ihre Kommunikation gestalten wollen. Was mögen Sie? Was nicht? Sind Sie der Telefonierer – oder der Nachrichten-Texter ? Besprechen Sie, wie Sie sich verhalten wollen, zum Beispiel: Wenn Du anrufst, gehe ich immer kurz ans Telefon und wenn es nicht passt, dann sage ich das und rufe später zurück. Oder machen Sie Zeiten aus, die für Sie beide gut passen. In der Umkehr bedeutet das: Den Partner nicht ohne Not wegzudrücken ohne sich evtl. auch später zurückzumelden - oder abweisend und aggressiv auf die vermeintliche Störung zu reagieren. Denn oft hat die andere Person nur das Bedürfnis nach Nähe und die Stimme des anderen zu hören. Wenn der Mensch ein paar Mal schroff abgewiesen wird, besteht die Gefahr, dass er aufgibt, den anderen erreichen zu wollen.

Beobachten: Wir kommunizieren non-verbal oft viel mehr als wir sprechen. Beobachten Sie Ihren Partner und lesen Sie in seinen Augen, in seiner Haltung und wie er mit Ihnen spricht. Wenn Ihnen etwas auffällt, dann sagen Sie es und fragen nach, ob Sie damit richtig liegen? Zum Beispiel: „Heute siehst Du aber müde aus. War es ein anstrengender Tag? Was ist passiert?“ So öffnen Sie Ihrem Partner die Tür, sich auszusprechen und es mit Ihnen zu teilen. Manchmal beziehen Menschen die schlechte Stimmung der anderen Person auf sich und denken: „Er ist wegen mir so schlecht drauf, weil ich wollte, dass er heute früher nach Hause kommt, wagt es aber nicht, es anzusprechen.“ So können nicht ausgesprochene Beobachtungen, sogar zu einem stillen Konflikt führen und die Stimmung für den ganzen Abend trüben, weil jeder in seinem Kopfkino bleibt und nicht wagt, offen zu sprechen.

Die Brille wechseln: 

Verstehen heißt, dass ich mich in die Lage meines Gegenübers  versetzen kann, zu mir selbst auf Abstand gehen kann und dann noch die Vogelperspektive auf unseren Umgang miteinander einnehmen kann.“ - Paartherapeut Ulrich Clement -

Der erste, wichtigste Schritt ist, den Blickwinkel zu wechseln und die Sicht des Partners kennenzulernen. Setzen Sie seine Brille auf, wie er die Welt sieht. Neugierig und offen so als wären Sie eine neutrale Person. Hören Sie die Einschätzung des anderen und erkennen sie als seine Wirklichkeit an. Bewerten Sie nicht vorschnell  a la „Wie kann man denn so einen Blödsinn denken!“. Sie sind nicht der Maßstab für die Gedanken Ihres Partners, er hat seinen eigenen Kopf auf. Fragen Sie nach, wenn Sie unsicher über die Gefühle oder Bedürfnisse dahinter sind, so als wären Sie ein Journalist, der die Geschichte dieses Menschen verstehen will.

„Ich bin ich, Du bist Du“: Am meisten machen uns die Unterschiede zu schaffen. Sie ist die Abenteuerin und will spontan und flexibel sein, er ist der Risiko-Vermeider, der gerne plant und Listen liebt. Sie legt großen Wert auf Ordnung, er auf ein gut sortiertes Chaos usw. Akzeptieren Sie, dass Sie unterschiedliche Persönlichkeiten, Meinungen und Interessen haben - und respektieren Sie die Individualität Ihres

Partners und setzen Sie nicht voraus, dass er genauso denken oder fühlen sollte wie

Sie. Eine glückliche Beziehung gelingt, wenn man seinen Frieden mit den Unterschieden des Partners schließt, ja vielmehr versucht, die Chancen darin zu sehen, das Leben und die Aufgaben entsprechend der Neigungen zu organisieren. 

Albert Schweitzer, deutscher Arzt, Philosoph und Friedensnobelpreisträger: „Das Wichtigste im Leben ist, dass man jemanden hat, der einen versteht, jemanden, der einen liebt, so wie man ist."

Das Beste in sich wecken: Die Kernfrage lautet: Wollen Sie recht haben oder eine Beziehung führen? Beides gleichzeitig ist leider schwer möglich. So lautet eine wichtige Erkenntnis aus der Paartherapie. Auf sich und seine Sicht zu beharren, bringt Sie nicht weiter, weil dies eine statische Haltung ist. Eine sichere Veränderung haben Sie selbst in der Hand, indem Sie sich bewegen (und nicht auf den Partner warten) und das Beste in sich suchen: für einen Kompromiss und die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Finden Sie gemeinsame Lösungen, die für beide Partner akzeptabel sind.

Die Wunden offenbaren: Hinter den Vorwürfen an den Partner steckt oft ein Wunsch oder ein Bedürfnis. Es ist leichter in den Angriff zu gehen, als sich verletzlich zu zeigen. Zum Beispiel vorzuwerfen, dass der Partner immer zu spät nach Hause kommt. Wie wäre, einmal in sich hinein zu spüren und ausdrücken, was sich wirklich dahinter verbirgt, nämlich der Wunsch, Zeit miteinander zu verbringen und die Nähe und Gesellschaft des anderen zu genießen. Jeder Beziehungspartner hat Sehnsüchte, die sich aus seiner Biografie nähren. Wenn man als Kind wenig Nähe und Liebe erfahren hat, erzeugt das ein großes Bedürfnis nach Zuwendung als Erwachsener. Jetzt endlich möchte ich das bekommen, was mir so lange vorenthalten wurde. Heftige emotionale Reaktionen finden meistens Ihre Ursache in der Prägung und Erfahrung in der Herkunftsfamilie. Oder man bleibt im Kinder-Schema und lebt die Anpassung von früher weiter: Zum Beispiel das Kind versucht möglichst brav und perfekt zu sein, um die Aufmerksamkeit der Eltern zu bekommen. Eine weitere Möglichkeit ist, dass Menschen genau das annehmen, was die Erwachsenen vorgelebt haben: Liebe geht so, wie Mama und Papa es praktiziert haben - und sie halten auch Jahrzehnte später noch in ihrer aktuellen Beziehung an diesem Konzept fest. Jeder Mensch ist ein beschriebenes Blatt – zum Teil von sich selbst oder von den Bezugspersonen in seinem Umfeld.

Kennen Sie die Geschichte Ihres Lieblingsmenschen? All seine Ängste, Erfahrungen, prägende Erlebnisse, Strategien, um als Kind in der Welt der Erwachsenen zu bestehen und geliebt zu werden? Selbst wenn Sie viel voneinander wissen, ist sicher nicht jede Ecke ausgeleuchtet, jedes Detail bekannt. Nutzen Sie die Übung in der Box, um noch die letzten Lücken zu schließen.

Milder Blick dank tieferem Verständnis

Fragen zur Reflektion und zum Austausch:

1. Wie hast Du Dich als Kind gefühlt?

2. Gab es eine Not / einen Mangel?

3. Welche Erwartungen gab es an Dich?

4. Was hast Du vermisst / hättest Du Dir gewünscht?

5. Welche Werte waren in Deiner Familie wichtig?

6. Was würdest Du Deinen Eltern gerne sagen und hast es bislang nicht ausgesprochen bzw. gewagt?

7. Was möchtest Du genauso machen wie Deine Eltern?

8. Was möchtest Du anders machen als Deine Eltern?

9. Was war für Dich damals schwierig?

10. Wenn es aus heutiger Sicht eine Wunde gibt, wie sieht sie aus?

11.  Welche Sehnsucht hast Du heute, die die Du mit deiner Kindheit in Verbindung bringst?

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Die Liebe in der zweiten Lebenshälfte retten

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2024: Macht es als Paar zu Eurem Jahr!